Kinderschutz

des Alte Feuerwache e.V.


Inhaltsverzeichnis

1. Partizipation und Prävention

1.1 Partizipation als Prävention zum Kinderschutz

1.2 Partizipation im Sinne des Kindeswohls

2. Begriffliche Abgrenzungen

2.1 Grundbedürfnisse des Kindes

2.2 Kindeswohlgefährdung

2.3 Merkmale der Kindeswohlgefährdung

3. Handeln im Kinderschutzfall

4. Sicherstellung des Schutzauftrages im Alte Feuerwache e.V.

4.1. „insoweit erfahrenen Fachkraft“

4.2. Aufgabe und Rolle

4.3. Berücksichtigung von Kinderschutz im Rahmen der Personalführung

5. Ausblick

6. Quellennachweise

Kapitel

1. Partizipation und Prävention
1.1 Partizipation als Prävention zum Kinderschutz

Die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen und Schutz vor Gewalt erfahren im Bundeskinderschutzgesetz eine gesetzliche Verankerung. (§§ 8b Abs. 2, 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3, 79a S. 2 SGB VIII)

Als grundlegende Voraussetzung zur Sicherung des Kinderschutzes erachten wir entsprechend unserer Konzeption die Partizipation und Stärkung von Kindern und Jugendlichen[1]und die grundlegende Möglichkeit, sich in persönlichen Angelegenheiten einzubringen oder auch beschweren zu können.

In allen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen setzt sich der Alte Feuerwache e.V. mit den Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche auseinander. In internen wie externen Gremien sowie in den jeweiligen pädagogischen Teams werden diesbezügliche Methoden diskutiert und beständig weiterentwickelt. So werden regelmäßige Befragungen der Kinder und Jugendlichen zur Zufriedenheit oder zu allgemeinen Anliegen im Einrichtungsalltag durchgeführt.

Die Themen „Eigene Grenzen wahren, Grenzen anderer respektieren“, sowie „Handlungsoptionen bei Überschreitung individueller Grenzen durch Dritte“ sind Querschnittsthemen in all unseren bereichsspezifischen Angeboten.

Um Schutz vor Übergriffen Gleichaltriger oder des Personals sicherzustellen, werden die Kinder und Jugendlichen ermutigt sich an eine Vertrauensperson zu wenden. Die Anliegen der jungen Menschen werden dann sensibel und vertraulich anhand eines im Verein abgestimmten Handlungsablaufes im Beschwerdefall behandelt (siehe Grafik 1).

1.2 Partizipation im Sinne des Kinderwohls

Die UN-Kinderrechtskonvention besteht aus 54 Artikeln, die Rechte von Kindern und Jugendlichen beinhalten, „Mitbestimmungsrecht“ und das „Recht auf freie Meinungsäußerung“ fallen darunter. Kinderschutz anzuwenden heißt, Kindeswohl und Kinderrechte gemeinsam zu berücksichtigen. Wir folgen der Betrachtung von Reinhard Wiesner, der beschreibt, dass Kinderschutz und Partizipation in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen können.[2] Wenn Kinderschutz ausschließlich über den „Blick von außen“ realisiert wird, wird der partizipative Gedanke der Kinderrechte nicht entsprechend umgesetzt. Uns ist es wichtig, im Verdachtsfall auf Kindeswohlgefährdung aufgrund entsprechender Anhaltspunkte auch das im Focus stehende Kind in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Fachkräfte das Kind bzw. den/die Jugendliche/n entsprechend kompetent einschätzen und der Schutz des Kindes/Jugendlichen an oberster Stelle steht.


2. Begriffliche Abgrenzung

Im Folgenden werden die Begriffe wie Grundbedürfnisse des Kindes, Kindeswohl, Kindeswohlgefährdung und deren Merkmale näher erläutert. Dabei gehen wir davon aus, dass bei ausreichender Befriedigung der Grundbedürfnisse das Kindeswohl gesichert ist und Kinder und Jugendliche zu selbstverantwortlichen Persönlichkeiten heranwachen können. Werden die Grundbedürfnisse nicht oder nicht genügend erfüllt, kann es zur Kindeswohlgefährdung kommen.

„Welche Auswirkungen eine ausbleibende Befriedigung eines oder mehrerer Grundbedürfnisse auf das Kindeswohl hat, hängt von seinem Alter und seinem Entwicklungsstand, aber auch von Dauer und Art der Mangelerfahrung ab. Je jünger die Kinder sind, umso weniger sind sie in der Lage, Defizite in der Bedürfnisbefriedigung eigenständig zu kompensieren und desto größer ist folglich die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls. (…) Diese sind per se allerdings noch nicht gleichzusetzen mit einer Kindeswohlgefährdung. Von entscheidender Bedeutung ist die Nachhaltigkeit der Auswirkungen dieser Beeinträchtigungen.“ [3]

2.1 Grundbedürfnisse des Kindes

Der amerikanische Kinderarzt T. Berry Brazelton und der Kinderpsychiater Stanley Greenspan gehen von der Grundannahme aus, dass Kinder wesentlich mehr als nur Nahrung und ein Dach über dem Kopf brauchen. Sie unterscheiden zwischen sieben Grundbedürfnissen, deren Befriedigung sie als Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung der Kinder sehen. [4]


Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen

Sichere und einfühlsame Beziehungen ermöglichen dem Kind, seine eigenen Gefühle in Worte zu fassen, über seine Wünsche nachzudenken und eigenständige Beziehungen zu Gleichaltrigen und zu Erwachsenen aufzunehmen. Der Austausch von Gefühlen bildet nicht nur die Grundlage für die meisten intellektuellen Fähigkeiten des Kindes, sondern auch für Kreativität und die Fähigkeit zu abstraktem Denken. Auch das moralische Gefühl für das, was richtig und was falsch ist, bildet sich vor dem Hintergrund früher emotionaler Erfahrungen heraus.

Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit

Kinder brauchen eine gesunde Ernährung und angemessene Gesundheitsfürsorge. Dazu gehören ausreichend Ruhe, aber auch Bewegung, medizinische Vorsorge und die fachgerechte Behandlung auftretender Krankheiten.

Das Bedürfnis nach individuellen Erfahrungen

Jedes Kind ist einzigartig und will mit seinen Eigenarten akzeptiert und wertgeschätzt werden. Kinder kommen nicht nur mit unterschiedlichem Aussehen und anderen körperlichen Unterschieden zur Welt. Auch angeborene Temperamentseigenschaften unterscheiden sich stark, sogar bei Kindern aus derselben Familie.

Je besser es gelingt, den Kindern diejenigen Erfahrungen zu vermitteln, die ihren besonderen Eigenschaften entgegenkommen, desto größer ist die Chance, dass sie zu körperlich, seelisch und geistig gesunden Menschen heranwachsen.

Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen

Mit wachsendem Alter müssen Kinder eine Reihe von Entwicklungsstufen bewältigen. Auf jeder dieser Stufen erwerben sie Grundbausteine der Intelligenz, Moral, seelischen Gesundheit und geistigen Leistungsfähigkeit. Kinder meistern diese Entwicklungsaufgaben in sehr unterschiedlichem Tempo. Der Versuch, das Kind anzutreiben, kann die Entwicklung insgesamt hemmen.

Auch übermäßige Behütung und Verwöhnung kann Kindern Schaden zufügen. Stolpersteine müssen von ihnen in beschützten Rahmenbedingungen selbständig überwunden werden. Wenn wohlmeinende Erwachsene diese immer wieder aus dem Weg räumen, unterschätzen sie die Fähigkeit der Kinder, sie selbst überwinden zu können.

Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen

Damit Kinder Freiräume erobern und sich gefahrlos entwickeln können, brauchen sie sinnvolle Begrenzungen und Regeln. Wohlwollende erzieherische Grenzsetzung fordert die Kinder auf liebevolle Weise und fördert beim Kind die Entwicklung innerer Strukturen. Grenzen müssen auf Zuwendung und Fürsorge, nicht auf Angst und Strafe aufbauen.

Kinder leiden auch, wenn die Grenzsetzung unzureichend ist. Bei dem Kind entstehen dadurch unrealistische Erwartungen, die schließlich über das Scheitern an der Wirklichkeit zu Frustration, Enttäuschung und Selbstabwertung führen. Die liebevolle Grenzsetzung bietet nach außen hin Schutz und Geborgenheit, weil das Kind Halt und Sicherung erlebt.

Das Bedürfnis nach stabilen und unterstützenden Gemeinschaften

Mit zunehmendem Alter gewinnt die Gruppe der Gleichaltrigen immer mehr die dominierende Bedeutung für Persönlichkeitsentwicklung und Selbstwert der Kinder und Jugendlichen. Die Entwicklung von Freundschaften ist eine wichtige Basis für das soziale Lernen. Soziale Kontakte, Einladungen zu anderen Kindern, Übernachtungen außerhalb des Elternhauses stellen wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung sozialer Fertigkeiten dar. Kinder und Jugendliche lernen, sich selbst besser einzuschätzen und zu behaupten, Kompromisse einzugehen, auf andere Rücksicht zu nehmen und Freundschaft und Partnerschaft zu leben.

Das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit

Das siebte Grundbedürfnis von Kindern betrifft die Zukunftssicherung. Immer mehr hängt das Wohl jedes einzelnen Kindes mit dem Wohl aller Kinder dieser Welt zusammen. Die Erwachsenen gestalten die Rahmenbedingungen für die nächste Generation. Weltweite Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft tragen hier eine bisher nicht eingelöste Verantwortung. Ob Kinder und Jugendliche diese Welt als beeinflussbares Ordnungsgefüge oder unheimliches Chaos erleben, hängt von ihrer Persönlichkeit ab, welche die Eltern und alle anderen Erwachsenen mit gestaltet haben.


2.2. Kindeswohlgefährdung

„Eine Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn Kinder in ihrer körperlichen, seelischen oder geistigen Entwicklung gegenwärtig gefährdet sind bzw. wenn Verletzungen und Schädigungen des Kindeswohls bereits eingetreten sind und die schädigenden Einflüsse fortdauern. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Grundbedürfnisse des Kindes in einem erheblichen Umfang vernachlässigt werden durch elterliches Fehlverhalten bzw. Unterlassen angemessener Fürsorge oder durch das Verhalten Dritter. Dies kann gegeben sein, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden.“ (§ 1666 Abs. 1 BGB, aktuelle Fassung).

2.3. Merkmale der Kindeswohlgefährdung [5]

Die Mitarbeiter*innen des Alte Feuerwache e.V. sind über die Tatbestandsmerkmale der Kindeswohlgefährdung informiert und aufgefordert, sensibel auf deren Anzeichen bei Kindern und Jugendlichen zu achten. Dabei sollten die folgenden Merkmale keinesfalls generalisiert und allgemeingültig, sondern immer unter Berücksichtigung des spezifischen Einzelfalls betrachten werden. Es gibt viele Merkmale, die auf Kindeswohlgefährdung deuten können. Im Folgenden werden spezifische Merkmale aufgeführt:

Vernachlässigung

  • des körperlichen Wohls:

durch mangelhafte Versorgung und Pflege wie unzureichender Ernährung, Pflege, Gesundheitsfürsorge, Unterlassen ärztlicher Behandlung oder unzureichender Schutz vor Risiken und Gefahren.

  • des seelischen und geistigen Wohls:

durch ein unzureichendes oder ständig wechselndes und dadurch nicht verlässliches, tragfähiges emotionales Beziehungsangebot, Mangel an Aufmerksamkeit und emotionaler Zuwendung, Nichteingehen auf Bedürfnisse des Kindes, Unterlassen einer angemessenen alters- und entwicklungsgerechten Betreuung, Erziehung und Förderung, u.a. auch das Desinteresse der Eltern am regelmäßigen Schulbesuch des Kindes.

Misshandlung

  • körperliche Misshandlung:

durch direkte Gewalteinwirkung auf das Kind, wobei die Mehrzahl der körperlichen Misshandlungen sichtbare Spuren auf der Haut hinterlässt, insbesondere Schlagen, Treten, Schütteln, Verbrennen, Würgen, Verätzen, Stichverletzungen zufügen, der Kälte aussetzen etc.

  • psychische Misshandlung:

durch Zurückweisung, Ablehnung und Herabsetzung des Kindes; Überforderung durch unangemessene Erwartungen, soziale Isolierung, Einschüchterung, Ängstigung des Kindes durch Drohungen, symbiotische Bindung des Kindes durch einen Elternteil.

  • Häusliche Gewalt:

durch Gewaltstraftaten zwischen Erwachsenen, die in einer partnerschaftlichen oder verwandtschaftlichen Beziehung zueinander stehen oder standen. Das Miterleben der Gewalt gefährdet eine gesunde seelische Entwicklung, beeinträchtigt die Beziehungsfähigkeit und kann Traumatisierungen auslösen.

  • Sexueller Missbrauch

durch sexuelle Handlungen mit Körperkontakt, Vorzeigen pornografischen Materials durch eine erwachsene, oder wesentlich ältere jugendliche Person, oft unter Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen.


3. Handeln im Kinderschutzfall

Prinzipiell gilt, dass niemand alleine im (Verdachts)Fall von Kindeswohlgefährdung handeln muss und auch nicht soll. Die Vorgehensweise ist immer zunächst mit Kolleg*innen, Team und Leitung abzustimmen.

Folgendes Schema zeigt hier zunächst die allgemeinen Schritte, die sich aus den Regelungen des §8a SGB VIII ergeben. Daraus ergibt sich, wie unten dargestellt, das Schema für das Handeln im Kinderschutzfall des Alte Feuerwache e.V.

Grafik 1 Handlungsschema beim begründeten Verdacht auf Kindeswohlverletzung


Folie1

Nach § 8a SGB VIII sind „gewichtige Anhaltspunkte“ für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen konkrete Hinweise auf Handlungen gegen Kinder und Jugendliche oder Lebensumstände, wonach eine erhebliche Schädigung für das leibliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder Jugendlichen drohen könnte, unabhängig davon, ob sie durch eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder Jugendlichen, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten bestehen (vgl. hierzu auch § 1666 BGB).

Die „Abschätzung des Gefährdungsrisikos“ stellt eine zukunftsbezogene Einschätzung dar. Damit wird auf die Vermeidung weiterer Schädigungen und den damit verknüpften Handlungsauftrag verwiesen, nicht bis zum letzten Moment zu warten.

Auch wenn es keine abschließenden gültigen, gleichsam objektiven Diagnose-Instrumente in diesem Feld gibt und geben kann, lassen sich doch verschiedene Möglichkeiten der Verbesserung von Beobachtungs- und Einschätzungsmechanismen und der Erweiterung der entsprechenden Kompetenzen bei Fachkräften schaffen.

Die Berlineinheitlichen Indikatoren und Risikofaktoren (s. Anlage 6) sollen insbesondere Fachkräften helfen, schwierige Lebens- und Erziehungssituationen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien besser einschätzen und beurteilen zu können. [6]


4. Sicherstellung des Schutzauftrages in der Alten Feuerwache

In Anlehnung an den Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und durch Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJug) werden folgende Regeln zur Sicherstellung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung gemäß § 8a SGB VIII und der persönlichen Eignung gemäß § 72a SGB VIII durch den Alte Feuerwache e.V. benannt:

1. Der Alte Feuerwache e.V. stellt sicher, dass in den von ihm verantworteten Leistungsbereichen ein Verfahren zur Abschätzung eines Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte angewendet wird (§ 8a, Abs. 2, Satz 1), das dem für die Jugendämter vorgegebenen Verfahren entspricht.

2. Die bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos hinzuzuziehende erfahrene Fachkraft muss nicht beim Alte Feuerwache e.V. selbst beschäftigt sein.

Im Einzelfall hat das zuständige Jugendamt den Alte Feuerwache e.V. - auf seinen Wunsch auch auf der Grundlage anonymisierter Daten und Falldarstellungen - zu beraten und ihm Hilfestellung zu leisten.

3. Der Alte Feuerwache e.V. wirkt darauf hin, dass zur Abwendung des Gefährdungsrisikos notwendige und geeignete Hilfen in Anspruch genommen werden und dokumentiert das entsprechend. Nehmen die Sorgeberechtigten keine Hilfe an, hat der Alte Feuerwache e.V. dann das für das Kind/den Jugendlichen zuständige Jugendamt von dem aus seiner Sicht bestehenden Hilfebedarf und den Gründen seiner Einschätzung für die Gefährdung unter Nennung der Betroffenendaten zu informieren.

4. Wenn sofortiges Handeln wegen Anzeichen von unmittelbarer und gravierender Kindeswohlgefährdung erforderlich wird, informiert der Alte Feuerwache e.V. die zuständige Stelle im Jugendamt umgehend vom Fall und den Betroffenendaten.

5. In Umsetzung der Verpflichtung nach § 72a Satz 3 SGB VIII stellt der Alte Feuerwache e.V. durch geeignete betriebliche Maßnahmen sicher, dass in seinem Verantwortungsbereich ausschließlich Personen Leistungen erbringen, die nicht im Sinne des § 72a Satz 1 SGB VIII vorbestraft sind.

4.1 „Insoweit erfahrene Fachkraft

„§§ 8a Abs. 4, 8b Abs. 1 SGB VIII und § 4 Abs. 2 KKG verpflichtet das Jugendamt von Amts wegen tätig zu werden, wenn ihm gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt werden. In diesen Schutzauftrag einbezogen sind auch die Träger der freien Jugendhilfe, d.h. Einrichtungen und Dienste aller Leistungsbereiche der Kinder- und Jugendhilfe.“ § 8a Abs. 4 SGB VIII regelt diesbezüglich einen eigenständigen und verpflichtenden Auftrag der freien Träger.

Demnach sollte „bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines betreuten Kindes oder Jugendlichen:

  • eine Gefährdungseinschätzung vorgenommen werden
  • eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ (im Folgenden IEF) beratend hinzugezogen
  • die Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken (wenn nicht im Einzelfall sofortiges Handeln (insbesondere Einschaltung des Jugendamtes) notwendig ist“.[7]

4.2. Aufgaben und Rollen (IEF) im Alte Feuerwache e.V.

Die IEF strukturiert und begleitet einen fachlichen Bewertungsprozess einer Kindeswohlgefährdung und sorgt für die Einhaltung fachlicher Standards in Form von:

  • Einzelberatung, Gruppen- bzw. Teamberatung
  • Leitungsberatung bzw. Leitungscoaching
  • Moderation
  • Vermittlung

Ihre wesentliche Aufgabe dabei ist die Beratung und die fachliche Unterstützung der fallverantwortlichen Fachkraft bei der Wahrnehmung und Bewertung von Anhaltspunkten. Die IEF hat keinen Beratungsauftrag gegenüber Kindern, Jugendlichen und Eltern und leistet keine konkrete Fallarbeit, somit obliegt ihr nicht die Fallverantwortung (fallbezogene Neutralität).

Die Einbeziehung der IEF dient (…) dem Entwickeln von und Hinwirken auf Hilfen.

Sie wirkt mit bei:

  • Rollenklärung der beteiligten Fachkräfte
  • Klärung individueller Verantwortung
  • Strukturierung von Beobachtungen und Informationen
  • Versachlichung insbesondere emotional belasteter Prozesse
  • Verbessertes Fallverstehen bei den handelnden Fachkräften
  • Unterstützung bei der Einschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung
  • Unterstützung bei der Einhaltung der fachlichen Standards zur Risikoeinschätzung und der Verfahrensabläufe
  • Unterstützung bei der Strukturierung von Handlungsplänen
  • Förderung der Kooperation und Kommunikation
  • Vorbereitung und Unterstützung bei der Einbeziehung der Personensorgeberechtigten sowie ggf. der Kinder und Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung
  • Offenlegung personenbezogener und institutioneller Verdrängungsmechanismen
  • Nachbetrachtung und Aufarbeitung von abgeschlossenen Fallverläufen.

Die Zusammenarbeit zwischen der IEF und der fallverantwortlichen Fachkraft ist zu dokumentieren, damit eine Nachvollziehbarkeit und Absicherung aller am Beratungsprozess Beteiligten sichergestellt wird. Dabei ist die Dokumentation des Beratungsprozesses in der Verantwortung der IEF.

Der Alte Feuerwache e.V. beschäftigt eine Kinderschutzbeauftragte und eine IEF in Festanstellung, darüber hinaus ist in Kooperation mit Outreach e.V eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ benannt, ihre Qualifikationen sind nachweisbar erfüllt.*

4.3. Berücksichtigung von Kinderschutz im Rahmen der Personalführung

Der Alte Feuerwache e.V. hat ein umfassendes System innerhalb der Personalführung zur Berücksichtigung des Themas Kinderschutz.

a) Bewerbungsverfahren

Das Thema Kinderschutz wird bereits im Bewerbungsgespräch thematisiert. Die Bewerber*innen werden nach ihrer Haltung zu Grenzen, Nähe, Distanz, Partizipation, Macht und Beschwerden gefragt. Innerhalb des Bewerbungsverfahrens wird den Bewerber*innen deutlich gemacht, dass Kinderschutz oberste Priorität hat.

b) Stellenbeschreibung

Jede Fachkraft hat eine Stellenbeschreibung erhalten und unterschrieben, die Tätigkeit und Verantwortlichkeit ihrer Stelle ausweist. Die Stellenbeschreibung beinhaltet den Passus, das Kinderschutzkonzept des Alte Feuerwache e.V. in der jeweils gültigen Fassung erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben, präventiv tätig zu sein, als auch dort beschriebene Abläufe bei Kindeswohlgefährdung einzuhalten.

c) Führungszeugnis

Der Alte Feuerwache e.V. verpflichtet sich gemäß des § 72a SGB VIII bei Einstellung und in regelmäßigen Abständen von Mitarbeiter*innen ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30a des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG) vorlegen zu lassen. Dabei werden die jeweils geltenden Regelungen des Landes Berlin beachtet.

Bei der Auftragsvergabe an freie Mitarbeiter*innen, also Honorarkräfte, gilt die gleiche Regelung.

Die Regelung hat zum Ziel, einschlägig vorbestrafte Personen von einer Mitarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe fernzuhalten und auszuschließen. Ein solches erweitertes Führungszeugnis gibt Auskunft über geringfügige Strafen und soll zu einem effektiveren Kinder- und Jugendschutz beitragen.

Personen, die im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes (BFD), des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) oder des Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ) im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe arbeiten, müssen nach § 72a Abs. 1 und Abs. 2 SGB VIII stets wie sonstige Beschäftigte ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Im Falle einer notwendigen kurzfristigen Einstellung, kann das erweiterte Führungszeugnis nachgereicht werden allerdings ist eine Erklärung zu unterzeichnen. (Siehe Anlage 2)

Auf Grund der erforderlichen Aktualität sollte das vorgelegte Führungszeugnis hierbei nicht älter als 3 Monate sein. Nach Ablauf von 5 Jahren muss wieder ein aktuelles Führungszeugnis vorgelegt werden.

Engagieren sich Personen ehrenamtlich, müssen auch sie ein Führungszeugnis vorlegen, das nicht älter als drei Monate ist.

Ausnahmen bilden freie Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche, die bei kooperierenden Netzwerkpartner*innen bereits ein Führungszeugnis vorgelegt haben.

Die Kosten für die Vorlage eines Führungszeugnisses sind im Rahmen einer Einstellung vom Beschäftigten zu tragen. Dagegen sind die Kosten, die im Rahmen der regelmäßigen Vorlage eines Führungszeugnisses anfallen, regelmäßig vom Arbeitgeber zu tragen, des Weiteren sind die Kosten im Falle einer Honorarbeschäftigung, von den Honorarkräften selbst zu tragen. Momentan betragen die Kosten 13,- €. [8]

5. Ausblick

Mit Erstellung des hier vorliegenden Konzeptes ist das Thema für alle Beschäftigten im Alte Feuerwache e.V. nicht abgeschlossen. Schilderungen aus dem pädagogischen Alltag, Fallbeispiele, Reflektionsphasen und gegenseitige Rückmeldung werden Bestandteil innerhalb der bestehenden Gremien im Alte Feuerwache e.V. bleiben.

Das vorliegende Konzept wird auf seinen Sinn regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst.

6. Quellennachweise

  • BGB, aktuelle Fassung, § 1666 Abs.1
  • Brazelton, T. B./Greenspan, S. I. (2002): Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein. In: Deutschen Liga für das Kind, 2. Ausgabe 2008
  • Deutscher Kinderschutzbund Landesverband Berlin e.V. 2011, Dokumentation Fortbildung Alte Feuerwache e.V., S.15/16
  • Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz - Orientierungsrahmen und erste Hinweise zur Umsetzung, Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter, 2014, S. 37 ff. https://www.agj.de/uploads/med...
  • ISA – Institut für soziale Arbeit e.V. © 2016 www.kinderschutz-in-nrw.de/
  • Reinhard Wiesner (2009): Partizipation als Modus des Kinderschutzes. Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention für die Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe. In: IzKK-Nachrichten 09-1, S. 21)
  • Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Jugend-Rundschreiben Nr. 1 bis 3 / 2014)
  • Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft: 1 Die vorliegende Neufassung ist das Ergebnis der von der AG 12 „Reaktiver Kinderschutz“ in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführten Evaluation des Berliner Kinderschutzverfahrens.
  • Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Jugend - Rundschreiben Nr. 1/2015 Erweitertes Führungszeugnis nach § 72a SGB VIII und § 30a Bundeszentralregistergesetz (BZRG) Hier: Zusammenfassende Regelungen
  • SGB V III (aktuelle Fassung)

[1] Vgl. Handlungsempfehlungen zum Bundeskinderschutzgesetz/AGJ und Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter, S. 37 ff. https://www.agj.de/uploads/med...
[2] Vgl. Reinhard Wiesner (2009): Partizipation als Modus des Kinderschutzes. Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention für die Verfahren der Kinder- und Jugendhilfe. In: IzKK-Nachrichten 09-1, S. 21.
[3] Vgl. www.kinderschutz-in-nrw.de/© 2016 ISA – Institut für soziale Arbeit e.V.
[4] Vgl. Brazelton, T. B.; Greenspan, S. I. (2002): Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. In: Deutschen Liga für das Kind, 2. Ausgabe 2008.
[5] Vgl. Brazelton, T. B./Greenspan, S. I. (2002): Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. In: Deutschen Liga für das Kind, 2. Ausgabe. 2008.
[6] Vgl .Empfehlungen zur Umsetzung des Schutzauftrags nach § 8a SGB VIII bei Kindeswohlgefährdung, 2007 Herausgeber Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, S. 6-8)
[7] Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Jugend - Rundschreiben Nr. 1/2014, S.1-2
[8] Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Jugend - Rundschreiben Nr. 1/2015.